Befindet sich ein Paar in einer Beziehungskrise, fällt es manchmal schwer herauszufinden, was denn genau falsch läuft und warum es dazu gekommen ist. Wenn man aber nicht weiß, an welchen Schwachstellen der Beziehung sich die Krise entzündet hat, weiß man auch nicht, wo man als Paar ansetzen kann, um wieder in den grünen Bereich zu kommen, ja man hat vielleicht sogar den Eindruck, dass insgesamt nichts mehr funktioniert.
Die Paartherapeutin Mira Kirshenbaum hat in ihrem Buch "Ich will bleiben, aber wie? Neuanfang für Paare. Ein Beziehungs-Check" zehn der typischsten Ursachen für Beziehungskrisen nach Häufigkeiten geordnet:
Wenn sich ein Partner des anderen zu sicher ist, kann es passieren, dass er "die Grundversorgung vernachlässigt." "Grundversorgung" heißt in diesem Zusammenhang vor allem das, was unter "Gelingende Partnerschaft: Übersicht" beschreiben ist. Ist die Beziehungskrise bereits vorgeschritten, wurde wahrscheinlich nicht nur die Grundversorgung vernachlässigt, sondern die Partner haben vielleicht schon mit Verhaltensweisen begonnen, die in einer Liebesbeziehung nichts zu suchen haben, beispielsweise mit Lügen, Herabwürdigungen, auf Kosten des Partners handeln, immer nur negativ sein, aneinander vorbeileben, Streit ins Leere führen, den anderen kontrollieren oder ihm misstrauen; ihn verletzten, unversöhnlich sein.
Wenn die anfängliche Verliebtheit nachlässt und die Schwachpunkte des Partners bemerkt werden, kann es sich einschleichen, dass ein Partner beginnt, den anderen abzuwerten, in eine Schublade zu stecken, ihn zu erniedrigen oder ihm unbedingt "auf die Sprünge helfen will". Alle diese Verhaltensweisen sind für eine Beziehung nicht hilfreich, der betroffene Partner reagiert typischerweise darauf mit Rückzug oder auch mit Kampf.
Beziehung braucht Zeit und einen Platz im Alltag. Viele Dinge können zu einer Belastung der Beziehung werden, beispielsweise ein neuer Job, ein kritischer oder fordernder Chef, Überstunden, aber auch das erste Kind oder Sorgen wg. Krankheit oder auch Finanzen. Wer gestresst oder erschöpft ist, ungeduldig oder verärgert, geht sich vielleicht zuerst aus Rücksicht aus dem Weg, doch daraus kann bald ein "Nebeneinander herleben" werden.
"Die Mauer aus Schweigen" heißt, nicht mehr offen, direkt und unverkrampft miteinander reden können. Häufig kommt es dazu, wenn einer der beiden Partner (oder beide) eine unrealistische Sichtweise vom anderen hat. Diese führt zu Erwartungen, die nicht erfüllt werden können, die Enthüllung dessen führt zu Enttäuschung, die zur Zurückweisung, die wiederum dazu, dass sich der Partner nicht mehr sicher fühlt und sich deshalb versteckt und stillhält. Am Ende sind sich beide Partner entfremdet und distanziert, sind wütend aufeinander oder auch traurig.
"Unerfüllte Bedürfnisse" bedeutet, darum kämpfen zu müssen, dass der Partner die eigenen Bedürfnisse befriedigt.
"Unerfüllte Sexualität" bedeutet, dass einer der beiden Partner oder auch beide nicht mit dem Sexleben, wie es ist, in Einklang befindet/befinden und damit zufrieden ist.
Wenn die Gegensätze sich nicht ergänzen, haben Paare Probleme, weil die beiden Partner vielleicht einfach zu verschieden ist, beispielsweise beim Lebensstil oder auch den zugrundeliegenden Werten. Wenn sich dann noch mangelnde Akzeptanz einstellt, kann es dazu kommen, dass der Draht zueinander verloren geht. Die aktuell häufigen Diskussionen über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gehen in die gleiche Richtung. Wenn es schließlich zu unterschiedlichen Meinungen in vielen kleinen Dingen kommt, wird es unter Umständen immer schwieriger, einen Mittelweg zu finden.
"Das Gift der alten Wunden" sind Wunden aus der Vergangenheit, die noch nicht verheilt sind und die der Partner einem zugefügt hat. Das können beispielsweise Verletzungen sein, die durch Betrug (nicht nur Untreue, auch anderes), Angst, Verunsicherung oder auch Verlust entstanden sind, mit der Folge, dass Bitterkeit, Gram, Streitereien oder Schmerz entstand.
Manchmal entstehen Beziehungskrisen gar nicht in der Beziehung selbst, sondern deshalb, weil einer der Partner ein psychologisches Problem hat, beispielsweise depressiv ist, Alkoholiker ist, Drogen oder andere Suchtmittel nimmt, fixen Ideen (Aberglauben, Einbildungen etc.) nachhängt, ungewöhnlich ängstlich ist, süchtig ist (beispielsweise Spielsucht) oder extremen Stimmungsschwankungen unterliegt.
Die "Erwartungen-gleich-Null"-Falle ist ein Teufelskreis, in den man ein seiner Beziehung geraten kann: Je weniger ich erwarte, desto weniger gebe ich von mir - Je weniger ich gebe, desto weniger bekomme ich - je weniger ich bekomme, desto weniger erwarte ich - ...
Schließlich haben die Partner keine Lust mehr, mit dem anderen etwas zu unternehmen, es kommt zu Rückzug, Routine, Langeweile, keine Erwartungen und fehlender Respekt.
John Goodman beschreibt in seinem Buch "Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe" auch vier Faktoren, die seiner Meinung nach so negativ wirken, dass eine Beziehung dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit dauerhaft zerstört wird. Er nennt sie "die vier apokalyptischen Reiter", in Anlehnung an die in der Bibel genannten Reiter, die den Weltuntergang ankündigen (Offenbarung des Johannes, Kap. 6). Die Faktoren sind: Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern.
"Nicht der Mangel an Liebe, sondern der Mangel an Freundschaft macht die unglücklichsten Ehen."
(Friedrich Nietzsche)
"Niemand geht gerne zu einem Ehepaar in Krise, versteht sich, es liegt in der Luft, selbst wenn man nichts davon weiß, und der Besucher hat das Gefühl, einem Waffenstillstand beizuwohnen, er kommt sich als Notbrücke vor, er fühlt sich irgendwie missbraucht, zu einem Zweck eingesetzt, und das Gespräch wird unfrei, der Übermut in vorgerückten Stunden wird gefährlich, plötzlich wird mit Witzen geschossen, die etwas zu scharf sind, etwas vergiftet, der Besucher merkt mehr, als die Gastgeber preisgeben wollen; es ist gemütlich wie auf einem Minenfeld ein solcher Besuch bei einem Ehepaar in Krise, und wenn nichts platzt, so riecht es doch allenthalben nach heißer Beherrschung."
(Max Frisch: Stiller)