Das Thema Machtverteilung spielt in jeder Beziehung eine Rolle, weil sich eine Beziehung zu einem anderen Menschen vor allem auch dadurch auszeichnet, dass der Partner, seine Gefühle, Verhaltensweisen und Reaktionen für den anderen wichtig sind.
Wir sind nur dann von einer anderen Person unabhängig, wenn diese andere Person und ihre Verhaltensweisen keine Bedeutung oder Auswirkung für uns hat, weder in positiver noch in negativer Richtung. Das heißt aber auch, dass wir mit solch einer anderen Person nicht in Beziehung sind.
In den meisten Beziehungen machen sich die Partner voneinander abhängig, eben weil genau das auch ein zentraler Teil von "Beziehung" ist. Durch diese Abhängigkeit gewähren wir unserem Partner in der Konsequenz auch "Macht" über uns, ob wir uns dessen bewusst sind oder auch nicht. Für eine gelingende Beziehung ist wichtig, ein ausgewogenes Machtverhältnis zu schaffen, also einen Zustand, in dem sich keiner der Partner unter- oder überlegen fühlt und beide das Gefühl haben, aufeinander in gleichem Maße angewiesen zu sein.
Macht kann dadurch entstehen, dass eine Person Zugriff auf Mittel hat. Sie kann auf verschiedene Weisen ausgeübt werden und sie kann verschiedene Auswirkungen haben.
Dabei können in Beziehungen unterschiedliche Varianten vorkommen. Es kann sein, dass in einer Beziehung ein Partner alle Formen von Macht besetzt und der andere in allen Aspekten abhängig ist. Häufiger wird es aber vorkommen, dass bestimmte Formen von Macht vom einen Partner und bestimmte andere Formen vom anderen Partner ausgeübt werden, oder die Machtverhältnisse gemischt sind, abgewechselt werden oder sich im Laufe der Zeit verändern.
In den Beispielen wird der Begriff "Machtausübender" verwendet für denjenigen, der die Macht hat oder dem sie zugesprochen wird, und den Begriff "Abhängiger" für denjenigen, der die Auswirkungen der Machtausübung erlebt.
Diese Form von Macht entsteht, wenn Geld und Vermögen zwischen den Partnern ungleich verteilt ist. Sie zeigt sich, wenn der Machtausübende darüber entscheidet, wer das Geld verwaltet und wie das Geld (neben den Ausgaben für den täglichen Bedarf) investiert wird, oder wer das letzte Wort bei Kaufentscheidungen hat. Sie zeigt sich aber auch, wenn der Abhängige Rechenschaft über die Geldverwendung geben muss, keine Vollmacht über gemeinsame Konten bzw. über das Konto des Partners hat oder beispielsweise Käufe unterlässt, weil er Kritik des Partners erwartet. Ein weiteres Anzeichen für "Macht durch Geld" ist, wenn ein Partner nicht weiß, wie viel der andere Partner verdient und wie viel Vermögen er hat
Diese Form von Macht entsteht, wenn ein Partner spezifische Fähigkeiten oder Erfahrungen hat oder über in einer Situation wertvolles Wissen verfügt. Beispiele sind Kindererziehung, handwerkliches Können oder besondere Begabungen.
Diese Form von Macht entsteht, wenn einer der Beziehungspartner mehr Zugang zu Informationen hat als der andere, beispielsweise hinsichtlich Geldkonten, Verträgen oder Vereinbarungen.
Diese Form von Macht entsteht, wenn ein Partner mehr Beziehungen zu wichtigen Kontaktpersonen hat als der andere. Wichtige Kontaktpersonen sind beispielsweise die Kinder, die Eltern, Geschwister und andere Verwandte der Herkunftsfamilien, das Netzwerk von Freunden und Bekannten, andere Mütter und Väter aus dem Bekannten- und Freundeskreis der Kinder, Helfer und Unterstützer.
Diese Form von Macht entsteht, wenn einer der beiden Partner beruflich oder gesellschaftlich aktiver und erfolgreicher ist als der andere Partner, beispielsweise weil er beruflich Karriere macht oder einen höheren gesellschaftlichen Status erreicht, indem er sich öffentlich in einem Verein, einer politischen Organisation oder einer kirchlichen Institution engagiert.
Diese Form von Macht entsteht, wenn einer der beiden Partner körperlich überlegen ist. Beispiele dafür sind physische Kraft, bessere Gesundheit, körperliche Attraktivität sowie erotische Attraktivität.
Diese Form von Macht entsteht, wenn ein Partner den anderen beeinflusst durch persönliche Eigenschaften und Qualitäten und sich der andere mit diesen Eigenschaften identifiziert in der Hoffnung, dadurch vom beeinflussenden Partner als Mitläufer oder auch als Nachfolger akzeptiert zu werden.
Wer Macht besitzt oder zugesprochen bekommt und sie ausübt, kann das auf unterschiedliche Weise tun
Macht durch Belohnung, beispielsweise über materielle oder finanzielle Belohnung, durch die Gewährung von Aufmerksamkeit, Zuwendung oder Lob.
Macht durch Bestrafung oder Zwang, beispielsweise über körperliche Gewalt, die Zurückhaltung von Belohnung oder durch Ignorieren.
Macht durch Passivität. Diese Macht wird beispielsweise ausgeübt, wenn ein Partner schweigt oder nicht reagiert. Ein anderes Beispiel dafür ist, wenn ein Partner dem anderen ein Verletzung oder Verfehlung nicht verzeiht.
Macht durch Begrenzung (beschrieben von Silvia Staub-Bernasconi), beispielsweise wenn sich ein Partner vor Übergriffen durch den anderen Partner schützt.
Macht durch Behinderung (beschrieben von Silvia Staub-Bernasconi), beispielsweise in dem ein Partner den anderen daran hindert, sich zu entfalten
Macht durch Ermöglichung, beschrieben von Hans Jellouschek. Diese Macht wird von einem Partner konstruktiv eingesetzt, um dem anderen Partner neue Erfahrungen zu verschaffen, wirkt also in einer positiven Weise.
Unbewusst ausgeübte Macht
Manchmal ist dem Machtausübenden nicht bewusst, dass er Macht hat bzw. sie ausübt. So kann es sein, dass sich der Abhängige bei der "Macht durch persönliche Ausstrahlung, Charisma" von sich aus anpasst, Dinge nicht in Betracht zieht zugunsten des Partners oder auf Sachen verzichtet, um sich keiner Kritik auszusetzen. Bei "Macht durch Bestrafung" kann es sein, dass sich der Abhängige auch lange nach einer tatsächlichen Bestrafung immer noch angepasst verhält.
Warum gibt es in manchen Beziehungen ein "unausgewogenes Machtverhältnis", warum also hat in diesem Fällen einer der Partner mehr Macht als der andere Partner?
In diesem Fall besteht die Gefahr, dass der Partner mit mehr Interesse sich selbst abhängig vom anderen macht, sich in eine unterlegene Position begibt, versucht, dem anderen alles recht zu machen, damit der die Beziehung aufrechterhält.
Umgekehrt besteht für den Partner mit weniger Interesse an der Beziehung die Gefahr, dass er sich wenig angepasst oder kompromissbereit zeigt, beispielsweise weil er denkt oder weiß, dass er Alternativen zur bestehenden Beziehung hat.
Wenn ein Partner über "stärkere" Machtmittel verfügt als der andere (beispielsweise höheres Einkommen, hohes Vermögen, berufliche Karriere, höhere Bildung), können Machtverhältnisse zwischen den Partnern unter Umständen nicht einfach ausgeglichen werden.
Menschen unterscheiden sich in ihrem Dominanzverhalten. Trifft in einer Beziehung ein eher dominanter Partner auf einen eher Nachgiebigen, ist es eventuell schwieriger, ein ausgewogenes Machtverhältnis herzustellen. Ursachen für diese Unterschiede können in Persönlichkeitsmerkmalen liegen oder durch Erziehung erlernt worden sein.
Beispielsweise wird in patriarchalischen Gesellschaften Männern mehr Macht zugesprochen als Frauen.
Wie schafft man es als Paar, ein "ausgewogenes Machtverhältnis" zu schaffen, ohne Unterlegenheitsgefühle und dauernde Machtkämpfe?
Wenn ich mir darüber im Klaren bin, wer ich bin und was ich kann, stärkt das mein Selbstwertgefühl und gibt mir Sicherheit, weil ich weiß wie wertvoll ich bin. So kann ich mich besser selbst behaupten, aber bei Bedarf auch Kompromisse eingehen, ohne mich unterlegen zu fühlen. Damit ich immer wieder Rückmeldung und Bestätigung erfahre ist es wichtig, auch eigene Aufgaben und eigene Kontakte zu haben, unabhängig vom Partner.
Mein Partner hat ebenfalls Stärken - vielleicht ähnliche wie ich, vielleicht aber auch ganz andere. Wenn ich seine Stärken kenne und anerkenne, hilft es uns beiden, Sicherheit zu bekommen und keine Machtkämpfe austragen zu müssen, weil schon vorab geklärt ist, dass jeder Partner seine Stärken hat.
Wenn wir in unserer Beziehung unsere Stärken miteinander kombinieren, haben wir den größten gemeinsamen Gewinn davon. Geht es nur darum, die eigene Position zu Lasten des anderen zu stärken, sind wir im Gegensatz dazu beide Verlierer.
Ausgewogene Machtverhältnisse ohne Machtkämpfe können auf unterschiedliche Weisen zustandekommen: Beide Partner können gemeinsam Entscheidungen treffen, dann ist es unter Umständen erforderlich und wichtig, Kompromisse zu finden. Alternativ kann man als Paar auch vereinbaren, bei bestimmten beide betreffende Themen abwechselnd zu entscheiden. Oder man definiert Bereiche, für die einer der beiden Partner die Entscheidungen trifft, während der andere Partner für andere Bereiche die Entscheidungen trifft.
Wichtig ist nicht in erster Linie, wer entscheidet: Wichtig ist, wer darüber entscheidet, wer entscheidet!
(Ina Grau, Sozialpsychologin)
Quellen: Ina Grau: Machtverhältnisse in Partnerschaften / Friederike von Tiedemann: Wer hat die Macht? Psychologie heute, Juli 2009 / sowie weitere Quellen